Dysfunktionale Gedanken im Leistungssport


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Ergebnisse der neusten Studie

"Validierung eines sportspezifischen Messinstruments zur Erfassung dysfunktionaler Gedanken im Wettkampfkontext"

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Ziel des Projektes

Ziel des Projekts ist es, verschiedene dysfunktionale Gedanken der Sportler*innen in Bezug auf die sportliche Aktivität zu erfassen, um daraus einen sportspezifischen Fragebogen zu entwickeln. Dabei steht vor allem der sportliche Wettkampf im Fokus.


Dysfunktionale Gedanken

Für unsere Forschungsarbeit haben wir folgende Arbeitsdefinition von dysfunktionalen Gedanken zugrunde gelegt: „Dysfunktionale Gedanken im Wettkampfsport sind demotivierende, zielhemmende, einschränkende oder belastende Gedanken bei aktiven Wettkampfsportlern*innen (im Leistungs- oder Hochleistungsbereich), die im Kontext der Ausübung des Sports auftreten“.


Was wurde bisher im Rahmen dieses Projektes untersucht?

Studie 1: Wahrnehmung dysfunktionaler Gedanken aus der Perspektive der Trainer*innen

Forschungsfrage: „Welche störenden oder leistungshemmenden Gedanken der Sportler und Sportlerinnen werden überhaupt von den Trainern und Trainerinnen wahrgenommen?“

Ziel:

   Sammeln und identifizieren von potenziellen dysfunktionalen Gedanken

Ergebnisse:

   N = 124 Trainer*innen aus dem Freizeit- und Leistungssport
   Es konnten 470 verschiedene Aussagen der Trainer*innen identifiziert werden, die einen Hinweis auf potenzielle dysfunktionale Gedanken der Sportler*innen liefern
   Diese Gedanken/Aussagen konnten sieben verschiedene, übergreifenden Kategorien zugeordnet werden (siehe weiter unten)

 

Studie 2: Wahrnehmung dysfunktionaler Gedanken aus der Perspektive der Sportler*innen

Forschungsfrage: „Inwiefern treten solche von den Trainern*innen identifizierten Gedanken tatsächlich bei den Sportlern*innen auf?“

Ziel:

   Überprüfung der sieben Kategorien
   Weitere detailliertere, von Sportlern*innen formulierten Gedanken erhalten
   Zusätzliche Informationen über Häufigkeit des Auftretens und Einfluss der Gedanken gewinnen

Ergebnisse:

   N = 101 Sportler*innen aus verschiedenen Mannschafts- und Individualsportarten im Alter zwischen 15 und 30 Jahren (Ø 21.57 Jahre)
   Die grundlegende Struktur mit sieben Hauptkategorien konnte größtenteils beibehalten werden
   Es konnten 788 verschiedene Gedanken von Sportlern*innen identifiziert werden, die sich subjektiv auf die sportliche Leistung auswirken können

⇒Diese 788 Gedanken bilden die Grundlage für die Fragebogenentwicklung

 

Fazit Studie 1 & Studie 2:

   Die 788 verschiedenen Gedanken in den sieben Hauptkategorien bilden die Grundlage für die Fragebogenentwicklung
   Wertvolle Hinweise über die Konformität der Fremdwahrnehmung der Trainer*innen und die Eigenwahrnehmung der Sportler*innen in Bezug auf dysfunktionale Gedanken liegen vor

Sieben übergreifende Kategorien:

   Allgemeine Gesamtbelastung,
   Selbstwert,
   Leistungsdruck,
   Aktueller Wettkampf
   Sportlichen und körperlichen Belastung,
   Allgemeiner Trainings- und Wettkampfkontext
   Sorgen

Basierend auf der Häufigkeit des Auftretens der verschiedenen Gedanken wurde gemeinsam mit Sportlern*innen sowie mit verschiedenen Experten aus der Sportwissenschaft, Sportpsychologie und Psychologie ein finaler Item-Pool von 70 Gedanken ausgewählt. Dabei waren 54 Gedanken dem Individual- und Mannschaftssportkontext und 16 Gedanken ausschließlich dem Mannschaftskontext zuzuordnen.

Diese 70 Items wurden den Sportlern*innen in einer weiteren Studie zur Bewertung vorgelegt.

 

Studie 3: Identifikation der am häufigsten auftretenden dysfunktionalen Gedanken im Wettkampfkontext

Forschungsfrage: „Wie häufig treten die ausgewählten Gedanken im Allgemeinen bei Sportlern*innen während eines Wettkampfes auf?“

Dabei beginnt ein Wettkampf in der Regel mit der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung, die mit Betreten der Wettkampfstätte, frühestens aber mit dem Morgen des Wettkampfes beginnt und mit Abschließen des Wettkampfes endet.

Ziel:

   Identifikation von Gedanken, die am häufigsten im Wettkampfkontext auftreten
  Reduzierung des initialen Item-Pools von 70 Gedanken auf eine „anwendbare“ Anzahl
•   Überprüfung einer zugrundeliegenden Struktur der ausgewählten finalen Gedanken

Ergebnisse:

N = 348 Sportler*innen aus verschiedenen Mannschafts- und Individualsportarten im Alter zwischen 18 und 69 Jahren (Ø 27.83 Jahre).

Es wurden 25 relevante Gedanken (17 Gedanken aus dem Individual- und Mannschaftssportkontext und 8 Gedanken ausschließlich aus dem Mannschaftskontext) identifiziert, die die Basis für die weitere Fragebogenentwicklung bilden und folgenden übergreifenden Kategorien zugrunde liegen.

 

Eine übersichtliche Zusammenfassung des aktuellen Stands des Projektes können Sie sich
⇐hier ansehen:

 

 

 

 

 

Ergebnisse der neusten Studie

Studie 4: Validierung eines sportspezifischen Messinstruments zur Erfassung dysfunktionaler Gedanken im Wettkampfkontext

Forschungsfrage: „Inwiefern lassen sich die sechs neuen Kategorien mit den 25 identifizierten Gedanken zuverlässig und in Abhängigkeit unterschiedlicher Sportlergruppen, des sportlichen Leistungsniveaus und des Alters replizieren?“

Ziel:

  • Identifizierung eines finalen Item-Pools zur Entwicklung eines Fragebogens zu dysfunktionalen Gedanken, welcher entsprechend der Zielgruppe valide und reliabel im Leistungssportkontext eingesetzt werden kann
  • Überprüfung der Anwendbarkeit auf verschiedene Leistungsniveaus und Altersstufen

Ergebnisse:

1. Finale Kategorien

Tabelle 1

Finale Kategorien des finalen Fragebogens und jeweilige Beispiel-Items.

Kategorien Spannweite Gesamtwert Beispiel-Gedanken
Vergleich mit anderen
4 Items
4-20 • „Die anderen sind viel besser als ich“
• „Meine sportliche Leistung ist zu schlecht“
Individuelle Leistungsgedanken
5 Items
5-25 • „Ich will mich nicht enttäuschen“
• „Ich darf nicht versagen“
Spezifische Gedanken in Bezug auf den/die Trainer*in
5 Items
5-25 • „Mein Trainer versteht mich nicht“
• „Mein Trainer gibt mir keine Rückmeldung“
Gesamtbelastung
3 Items
3-15 • „Ich kann nicht mehr“
• „Mir ist alles zu viel“

Anmerkung. Das Antwortformat des Fragebogens ist 5-stufig von 1 (nie) bis 5 (sehr oft).

 

2. Verteilung der Kategorien in der vorliegenden Sportlerstichprobe
Verteilung der Kategorien bei 220 Sportlern und Sportlerinnen aus verschiedenen Mannschafts- und Individualsportarten im Alter zwischen 16 und 71 Jahren (Ø 26.82 Jahre)

Abbildung 1. Verteilung der jeweiligen Gesamtwerte der einzelnen Kategorien.

 

3. Unterschiede in Bezug auf bestimmte biographischen und sportbezogenen Merkmale

Tabelle 2

Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) in Bezug auf bestimmte Sportlermerkmale

Anmerkung. n = Anzahl der Sportler*innen, r = Korrelationskoeffizient, * p < .05, ***p < .001, ns. = nicht signifikant.

Die Ergebnisse in Bezug auf bestimmte Sportlermerkmale spiegeln größtenteils die Erfahrungen von Trainer und Trainerinnen wider nämlich, dass …

  • … mit zunehmenden Alter die dysfunktionalen Gedanken abnehmen, vor allem aber die individuellen Leistungssorgen.
  • …Frauen eher zu dysfunktionalen Gedanken während des Wettkampfes neigen im Vergleich zu Männern.

Darüber hinaus zeigten sich Unterschiede in der Häufigkeit des Auftretens dysfunktionaler Gedanken im Wettkampf zwischen Team- und Individualsportlern*innen. Teamsportler*innen gaben signifikant geringere Werte in den Kategorien Vergleich mit anderen und Gesamtbelastung, aber höhere Werte in der Kategorie Trainerverhalten im Vergleich zu den Individualsportlern*innen an.

Tabelle 3

Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) in Bezug auf das Leistungsniveau der Sportler*innen.

Anmerkung. Kategorien: 1 = Vergleich mit anderen, 2 = Spezifische Gedanken in Bezug auf den/die Trainer*in, 3 = Gesamtbelastung, 4. Individuelle Leistungssorgen, 5. Gesamtwert; PL1 = Höchstes nationales Niveau (etwa: 1. Bundesliga) oder Olympiakader (bzw. A-Kader); PL2 = Zweit höchstes nationales Niveau (etwa: 2. Bundesliga) oder Perspektiv- oder Ergänzungskader (bzw. B- oder C-Kader); PL 3 = Dritt höchstes nationales Niveau (etwa: 3. Liga) oder Nachwuchskader (NK1 oder NK2, bzw. C-Kader Sportler*innen die nicht dem Perspektivkader angehören oder DC-Kader); PL4 = Viert höchstes nationales Niveau (etwa: Regionalliga) oder Landeskader (bzw. D-Kader); PL5 = Sonstiges darunterliegendes Wettkampf-Niveau oder sonstiger Kaderstatus, PL6 = Kein Wettkampf-Niveau oder kein Kaderstatus

In Bezug auf das Leistungsniveau deuten die Mittelwerte darauf hin, dass Sportler und Sportlerinnen, die sich auf dem dritthöchsten Leistungsniveau (d.h., 3. Liga oder Nachwuchskaderathleten*innen [NK1 oder NK2], bzw. C-Kader Sportler*innen die nicht dem Perspektivkader angehören oder DC-Kader) befinden, in allen vier Kategorien höhere Werte aufweisen im Vergleich zu Sportlern*innen, auf anderen Leistungsniveaus.

Interpretation:

  • Es scheint, dass dysfunktionale Gedanken eine größere Rolle bei Nachwuchsathleten*innen spielen. Häufig befinden sich diese im Übergangsbereich zur offen Klasse. In dieser Phase ist es oft nicht klar, ob sie den Sprung vom Juniorenbereich in den Seniorenbereich schaffen. Hinzu kommt, dass dieser
    Altersbereich auch prinzipiell eine sehr kritische Lebensphase darstellt (z.B., durch den Übergang von Schule zu Studium oder Arbeit), in welcher die Vereinbarkeit mit dem Sport evtl. in Frage gestellt werden kann. Daher ist es wahrscheinlich, dass Sportler*innen in diesem Leistungsbereich häufiger von auftretenden dysfunktionalen Gedanken betroffen sind, die die Leistung leichter beeinträchtigen können.
  • Da Frauen im Vergleich zu Männern häufig vulnerabler für verschiedene negative Gedankenprozesse sind, ist es nicht verwunderlich, dass auch im Sportkontext Frauen häufiger von dysfunktionalen Gedanken berichten.
  • Studien zu ähnlichen Themen (wie z.B. wiederkehrende störende Gedanken) haben gezeigt, dass negative Gedanken mit zunehmenden Alter abnehmen (siehe z.B. Emery et al., 2020; Nolen-Hoeksema & Aldao, 2011). Im Sportkontext könnte dies damit zusammenhängen, dass Sportler*innen zum einem mit zunehmender Wettkampferfahrung, Strategien im Umgang mit dysfunktionalen Gedanken entwickeln und zum anderen, mit zunehmendem Alter die Relevanz von Wettkämpfen im Vergleich zu anderen Bereichen im Leben der Sportler*innen abnimmt.

Praktische Anwendung:

  • Der Fragebogen könnte zukünftig im Nachwuchsbereich oder bei der Talentsuche eingesetzt werden, um individuelle Stärken oder Schwächen zu bewerten insbesondere im Hinblick auf sportliche Wettkämpfe. Junge Athleten*innen, denen es möglicherweise an Bewältigungsmechanismen für dysfunktionale Gedanken fehlt, könnten identifiziert und durch adäquate Interventionen unterstützt werden.
  • Darüber hinaus geben die Ausprägungen in den unterschiedlichen Kategorien Aufschluss, an welchen Stellen eine Intervention oder ein Coaching gezielt ansetzen könnte. Erzielt der Sportler bzw. die Sportlerin hohe Werte in der Trainerkategorie, könnte dies ein Hinweis auf eine mangelnde Kommunikation in der Trainer-Athleten-Beziehung sein. Hohe Werte auf der Skala Gesamtbelastung könnten einen Anlass dafür bieten, gemeinsam mit dem betroffenen Sportler bzw. der betroffenen Sportlerin nach Ursachen und gleichzeitig nach Lösungen für die hohe Gesamtbelastung zu suchen (z.B.: „An welchen Stellschrauben des Sportlers bzw. der Sportlerin kann man drehen, um zu einer Entlastung beitragen zu können?“; bspw. durch das Erstellen einer Energiebillanz des Sportlers bzw. der Sportlerin). Mit Sportlern*innen, die hohe Werte in den Kategorien „Vergleich mit anderen“ oder „Individuellen Leistungssorgen“ berichten, könnten beispielsweise gezielte sportpsychologische Maßnahmen ergriffen werden, um das Selbstbewusstsein der Betroffenen zu steigern oder Strategien im Umgang mit Wettkampfangst und sorgenvollen Gedanken entwickelt werden, um die Sportler*innen langfristig und nachhaltig bei ihrer Leistungsentwicklung zu unterstützen.

Zusätzliche Informationen

Wir arbeiten zurzeit an einem wissenschaftlichen Artikel zu unserer Fragebogenentwicklung. Wenn Sie weitere Informationen erhalten möchten, senden wir Ihnen den Artikel sehr gerne nach Veröffentlichung zu. Schreiben Sie uns hierfür einfach eine E-Mail an leistungssport.neuropsy@uni-mainz.de.

Kontakt

Sie haben generelle Fragen zum Projekt, spezielle Fragen bzgl. der aktuellen Studie oder möchten Anmerkungen/Kritik/Rückmeldung äußern, dann erreichen Sie mich wie folgt:

 

Dr. Alena Michel- Kröhler
Sportpsychologische Expertin (asp)

Psychologisches Institut, Johannes-Gutenberg Universität Mainz

Wallstraße 3 | 55122 Mainz

Tel: +49-6131-39-39233

E-Mail: leistungssport.neuropsy@uni-mainz.de